Balken01a


“To serve and to protect” 01
 

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Leise vor sich hinknurrend, blätterte Reeve ein weiteres Mal durch die Unterlagen, die er auf seinem Tisch hatte. Seit mittlerweile acht Monaten saß er nun schon an diesem Fall – ein kaltblütiger Vergewaltiger, der seine Opfer nicht nur schändete, sondern mit einem Messer verstümmelte und tötete. Und er schien keine Ausnahme zwischen Frauen und Männern zu machen ... lediglich eines hatten sie gemeinsam, sie waren zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, nicht jünger und auch nicht älter. "Verdammt – dieser Arsch muß doch zu kriegen sein !" Mit den Worten schlug Reeve auf seinen Schreibtisch und knurrte wieder, als die wenigen Dinge auf dem alten Holzschreibtisch durch die Wucht leicht in die Höhe geschleudert wurden. Dann stand er auf und schnappte sich seinen Mantel, schlüpfte hinein und knurrte im Hinausgehen noch ein "Ich bin auf den Straßen !!" zu einem der jungen Polizisten. Er mußte aus diesem stickigen Büro raus, ehe er noch einen Wutanfall bekam – und er würde seine Kontakte prüfen, vielleicht hatte einer von ihnen ein paar neue Informationen.

}|{

Woanders in der Stadt schleppte Mike gerade ein paar Tüten mit Lebensmitteln zu seiner Wohnung. Er hatte Gestern einen Job hinter sich gebracht und nutzte das Geld, um wieder vernünftig einzukaufen. Um den Menschenmassen zu entgehen, lief er durch die engeren Hintergassen, er fürchtete sich dort nicht, denn er war bekannt und Keiner wagte es, ihn anzumachen oder zu überfallen. Aber scheinbar gab es immer noch Typen, die ihn anmachen wollten, und so einer stand ihm jetzt im Weg. Also wollte er seitlich an ihm vorbei, aber der Kerl stellte sich wieder in seinen Weg. "Was soll die Scheiße, willst du Ärger ?"

"Nein – aber meinen Spaß, Kleiner. Und du kommst gerade richtig !" Noch während er sprach, zog der Größere ein unterarmlanges, scharfes Bowiemesser und grinste hämisch, als er näherkam ... ein Mann, der die Hände voller Einkaufstüten hatte, würde ein lohnendes Opfer sein, und Roland hatte schon zu lange keinen Spaß mehr gehabt. Über einen Monat hatte er stillhalten müssen, da die Cops die finsteren Gassen wie Ameisen überschwemmten – doch nun wurden sie wichtigeren Fällen zugeteilt und abgezogen, und genau damit hatte Roland gerechnet. "Sei brav und wehr dich nicht – dann wirst du schnell sterben, Kleiner. Wenn du Zicken machst, wird es schmerzvoller und ich habe trotzdem meinen Spaß, du siehst also, es lohnt sich kein Bißchen." In seiner Vorfreude bemerkte der Vergewaltiger allerdings nicht, daß just in diesem Moment ein kleiner, schmächtiger Mann in die gleiche Gasse bog und sich sofort an die Wand preßte, um nicht entdeckt zu werden ... dann kauerte er hinter den überquellenden Mülltonnen und schluckte schwer, zog sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer, die er eigentlich nie wieder hätte wählen wollen.

Auch Mike bemerkte den Schmächtling nicht. Er konzentrierte sich da doch lieber auf den Zwei-Meter-Kerl, der wie ein Schrank vor ihm stand, nen Ständer in der Hose und ein Messer in der Hand hatte. Mikes violette Augen verfinsterten sich zusehends. "Überleg dir das lieber nochmal, das ist deine letzte Chance, lebend davonzukommen ... Arschloch." Von so einem ließ er sich doch nicht einschüchtern, und schon gar nicht ficken und töten. "Fass mich an und du wirst leiden."

"Große Töne, Kleiner ? Gut, wie du willst !" Ohne einen weiteren Moment zu zögern, griff der Größere an und schlug sein Messer in das Opfer, das er sich gesucht hatte. Doch das stand plötzlich nicht mehr da, um sich töten zu lassen – und noch ehe Roland sich fangen konnte, schrie er auf, da sein Kinn von der Einkaufstüte voller Flaschen getroffen und dadurch ausgerenkt und zerschmettert wurde. Der Schmerz war so groß, daß Roland schwarz vor Augen wurde ... doch noch während er zu Boden fiel, schlug er erneut mit dem Messer zu und lachte gurgelnd, als er fühlte, wie die Klinge weiches Fleisch traf.

Er hatte Mike noch erwischt, nicht tief, aber die Wunde am Oberschenkel blutete ganz gut. Mike war es egal, er ließ die Tüten jetzt fallen, packte den Kerl, nahm ihm blitzschnell das Messer ab und renkte ihm dann noch beide Arme aus, damit er sich nicht mehr wehren konnte. "Ich hab dich ja gewarnt, Arschloch. Und jetzt darfst du leiden." Roland wimmerte schon jetzt, aber das war Mike absolut egal. Er nahm das Messer, schnitt die Jeans auf und grinste, als er den Penis sah. "Bist ja doch besser bestückt, als ich dachte ... noch." Er packte das Organ und zögerte nicht, das Messer anzusetzen und langsam in das weiche Fleisch zu schneiden. Die erstickten Schreie beachtete er nicht, er schnitt das Teil ab und stopfte es dann in den Mund seines Angreifers. Gerade, als er noch etwas sagen wollte, hörte er Schritte - Jemand rannte durch die Gassen. "Verdammt !" Erst jetzt hörte er auch noch ein Schluchzen hinter den Mülltonnen. Der Informant war kreidebleich und sichtlich schockiert. Aber um sich um den Zeugen zu kümmern, blieb Mike keine Zeit.

"Waffe fallen lassen und Hände hoch !! Ich gebe dir drei Sekunden, ehe ich abdrücke und mir erst dann Gedanken mache, wie ich das meinem Chef erkläre !" Die entsicherte Halbautomatik in beiden Händen und auf den Weißhaarigen gerichtet, verengte Reeve das Auge und ließ die Szene, die sich ihm bot, auf sich wirken. Er war zum Glück in der Nähe gewesen, als das kleine Wiesel ihn anrief und ihm sagte, daß er zufällig dazugekommen sei, als der 'Messermörder' sich ein neues Opfer suchte. Natürlich kam Reeve, noch ehe er nach Verstärkung rief – er wollte sich den Arsch nicht entgehen lassen, schließlich war das sein Fall. Doch als er die Gasse erreichte, bot sich ihm ein völlig anderes Bild als er erwartet hatte ... denn das Wiesel hatte ihm sowohl den Mörder wie auch dessen Opfer beschrieben, und nun verblutete und erstickte der Mörder gerade eben auf dem Dreck der Gasse, während das vermeintliche Opfer mit dem Messer dastand und ihn weiter verstümmeln wollte. "Eins – zwei ..."

Mike kannte den Bullen, der vor ihm stand. Nicht, weil er schon mal von ihm festgenommen worden war, sondern weil Reeve einfach bekannt für seine rücksichtslose Ader war. Leider war das Bild, das hier zu sehen war, nicht gerade vorteilhaft für Mike. Hätte er den Kerl einfach abgestochen, wäre er mit Notwehr davongekommen, aber die Verstümmelung war da nicht so leicht zu erklären. "Hey, ist ja gut ... ich mach ja schon." Mike wartete noch eine Sekunde, denn Roland zuckte noch und Reeve war einen winzigen Moment abgelenkt. So ließ der Weißhaarige das Messer in dem Moment fallen, duckte sich, fing es auf und sprang vor. So kam er blitzschnell aus der Schusslinie und dichter an den Cop heran. So dicht, daß er ihm die Waffe aus der Hand schlagen konnte.

Laut fluchend, daß er sich von dem sterbenden Abschaum hatte ablenken lassen, hob Reeve blitzschnell die Linke und fing damit das Messer auf, das dieser Weißhaarige ihm in die Brust stechen wollte. Daß er dabei seine Handfläche aufschnitt, interessierte ihn nicht und so schlug er mit der Rechten nach, traf den Anderen direkt am Kinn und riß dem so Abgelenkten das Messer aus der Hand, um es in der gleichen Bewegung auf die Seite zu werfen. Insgeheim verfluchte sich Reeve, daß er keine Verstärkung gerufen hatte – doch dann hörte er die vertrauten Sirenen eines Polizeiwagens und dankte dem Wiesel insgeheim, daß dieser soviel Verstand besessen hatte, die Cops zu rufen, ehe er sich vom Acker machte.

Daß Reeve das Messer mit der Hand abfing, hatte Mike doch sehr überrascht, der Kerl war wirklich so taff, wie man es immer hörte. In diesem Fall hing aber ein 'leider' mit dran. Mike landete in den Mülltonnen und brauchte einen Moment, um wieder klar zu werden ... und dieser Moment war zu lang gewesen, an beiden Ausgängen der Gasse blockierten Polizisten den Fluchtweg. Mike versuchte gar nicht erst zu flüchten, er hatte keine Chance und blieb erstmal liegen, um zu verschnaufen. Dieses Arschloch von Vergewaltiger hatte das geschafft, was Mike in seiner ganzen Zeit auf der Straße erfolgreich vermieden hatte - er war von Cops geschnappt worden.

Und gerade der Cop, der ihn geschnappt hatte, fluchte nun und zog ein Taschentuch aus seiner Manteltasche, wickelte es um seine blutende Hand und nahm die Halbautomatik auf, trat zu dem Weißhaarigen und hielt ihm den Lauf direkt an den Hals, als er sich zu ihm neigte und das Auge wütend verengte. "Ich danke dir, daß du das Arschloch erledigt hast – doch das gibt dir trotzdem nicht das Recht, einfach so davonzukommen. Auch wenn ich finde, daß der Arsch genau das bekommen hat, was er verdiente ... du wirst es auch, denn ich lasse keinen Verbrecher los, den ich mal in die Fänge bekomme." Dann stand er wieder auf und knurrte ein wütendes "Legt ihm Handschellen an und lest ihm die Rechte vor – ich will nicht, daß er davonkommt, weil wir einen Fehler machen, den ein guter Anwalt dazu benutzen kann, daß er wieder freikommt ! Und bringt die Spurensicherung her, damit wir die Leiche des Arsches hier wegbringen und die Spuren sichern können – und du verdammter Frischling paß auf, wohin du trittst und laß die Finger bei dir !!" Das Letztere galt einem jungen Cop, der gerade frisch von der Akademie kam und seiner Abteilung zugeteilt worden war ... denn der Junge wollte das Messer ohne Handschuhe aufheben und dabei wäre er sogar noch in eine der Blutlachen getreten.

Der Junge zuckte zurück und stammelte ein "Ja, Sir." heraus, bevor er jetzt erst die Leiche sah und entsetzt aufkeuchte. Blass werdend, fing er an zu würgen und kotzte schließlich in eine der Mülltonnen. Mike lag derweil schon auf dem Bauch und ihm wurden Handschellen angelegt, um seine Hände am Rücken zu fesseln. Dann wurde er auf die Beine gezogen und von zwei Cops zu einem der Streifenwagen geführt. Was für ein beschissener Tag !

Für den einäugigen Detective war es jedoch ein guter Tag und er lächelte hart, als er sah, wie der Weißhaarige in einen der Streifenwagen verfrachtet wurde. Die Spurensicherung kam nun auch schon und Reeve wußte, daß er noch eine Weile hierbleiben und den Tathergang schildern mußte ... doch das war Routine und zumindest konnte er diesen Fall nun mit einem inneren Lächeln endlich zu den Akten legen und abschließen.

}|{

Gut drei Stunden später saß Mike im Verhörraum der Polizei, trug einen schicken, orangen Overall und die Wunde an seinem Bein war frisch genäht. Auch Fotos waren von ihm gemacht worden und seine Finger waren schwarz von der Tinte, die man für die Fingerabdrücke nutzte. Zumindest war der Raum etwas heller und zugänglicher, der Fall war ja auch glasklar gewesen. Unbewusst rieb er seine Fingerkuppen aneinander, um die Tinte abzubekommen ... er merkte aber auf, als er Reeve und noch einen Bullen sah, die auf den Raum zukamen und dann betraten. Reeve blieb stehen und der Andere setzte sich, das Spiel konnte beginnen. "Lasst mich raten. Du bist der gute Cop und du der Böse." Erst sah er zu dem Sitzenden und dann zu Reeve. "Ich will einen Anwalt."

"Kriegst du, Kleiner – aber erst wollen wir ein wenig mit dir reden. Irgendetwas an der ganzen Sache kommt mir verdammt spanisch vor ... vor allem, als ich den Obduktionsbericht gelesen habe ! Du hast ihm beide Arme ausgerenkt, ihm den Kiefer ausgerenkt und zerschmettert und ihm dann auch noch den Schwanz abgeschnitten und ihn soweit in seine Gurgel gestopft, daß er daran erstickt ist ! Das ist definitiv keine Notwehr mehr ... der Kiefer, Okay – aber der Rest wird dir einige Jährchen im Knast einbringen !" Der andere Cop seufzte leise, denn er wußte genau, daß Reeve sich gerade erst heißgeredet hatte. Doch als dieser Atem holte, sah er eine Chance und unterbrach ihn, als er die Mappe aufschlug und die Daten betrachtete, die darin waren. "Okay, dein Name ist Mike Watson und bisher bist du nicht weiter aufgefallen – zumindest steht nichts im Computer über dich drin, deine Fingerabdrücke sind sauber. Das ist gut ... damit kannst du dir vielleicht ein paar Jahre auf Bewährung raushandeln. Wie Detective McOrney schon sagte, es ist ... nun ... jedenfalls kein Fall von Notwehr mehr. Dazu sind die Verletzungen des Mörders, denen er auch noch erlegen ist, zu gravierend." "Stimmt verdammt genau – und glaub mir, ich freue mich schon darauf, dich in den Knast zu bringen, denn damit hab ich dich einige Jährchen von meinen Straßen !" Während er sprach, kam Reeve an den Tisch und schlug mit der Hand darauf ... auch wenn er insgeheim guthieß, was mit dem Vergewaltiger und Mörder passiert war, offiziell durfte er das niemals sagen. Doch dann wurde er abgelenkt, als vor der Glaswand des Verhörzimmers der junge Laborassistent wild winkte – ein wenig die Stirn runzelnd, richtete Reeve sich wieder auf und kam raus, schloß die Türe hinter sich und nickte fragend, da er wieder zu dem Verdächtigen zurückwollte.

Mike schnaubte nur leise, als Reeve den Raum verließ und sein Kollege blieb recht ruhig sitzen. Jedoch beobachtete Mike, was draußen passierte und er stutzte doch ein wenig, als Reeve kreidebleich wurde und das Klemmbrett mit den Auswertungen zu sich riss. Na, da war ja einer aus dem Häuschen. Mit Klemmbrett und noch immer etwas blass kehrte der Cop zurück. "Na, noch was Interessantes gefunden, damit sie mich noch länger verknacken können ?"

Der Einäugige brauchte einen Moment, um sich zu fangen – das, was der junge Laborant herausgefunden hatte, als sie die Blutproben verglichen, war definitiv nichts gewesen, mit dem er rechnete. Sie hatten natürlich auch Gentests gemacht, um sowohl den Mörder wie auch diesen Weißhaarigen zu identifizieren und vielleicht auch mit vergangenen Fällen in Verbindung zu bringen ... und da auch Reeves Blut dabei gewesen war, verglichen sie es mit den Proben, die er bei seiner Einstellung abgegeben hatte. Doch dabei kam etwas heraus, das nicht nur den Laboranten, sondern auch den Einäugigen mehr als nur erschüttert hatte. Der andere Cop guckte nicht schlecht, als er seinen Vorgesetzten beobachtete – noch nie zuvor hatte er Reeve so sichtbar geschockt und neben sich gesehen ... und es dauerte auch noch einige Herzschläge, bis sich dieser wieder zusammenriß, die Testergebnisse abriß und das Klemmbrett auf den Tisch knallte. "Oh, sie haben sehr wohl was gefunden – ich weiß nur nicht, ob es interessant ist oder der größte Betrug, den es gibt !!" Noch während er brüllte, kam Reeve näher zu dem Gefangenen und neigte sich zu ihm, stützte sich mit der Linken am Tisch ab und sorgte so dafür, daß der andere Cop den Weißhaarigen nicht mehr so genau sah. "Schnapp dir meine Waffe und nimm mich als Geisel – wir müssen weg, solange noch Mittagspause ist und alle beim Essen sind !" Die Worte Reeves waren zu leise, um von den Aufnahmegeräten oder auch dem anderen Cop gehört zu werden ... doch Mike müßte sie sehr gut verstanden haben.

Mike glaubte, sich verhört zu haben, dann fühlte er sich total verarscht. Aber er fühlte irgendwie, daß es Reeve ernst war und so griff er ins Pistolenhalfter, schnappte sich die Waffe und entsicherte sie. "Weg mit deiner Waffe, und zwar sofort !" Mike brüllte den anderen Cop an, der erschrocken aufgesprungen war. Aber da Mike auf Reeve zielte, tat er, was gesagt wurde, und legte die Waffe auf den Tisch. Er verstand die Welt nicht mehr, seit wann ließ sich sein Boss so leicht die Waffe abluchsen. Aber noch bevor er lange darüber nachdenken konnte, war Mike auf den Beinen und schlug ihn nieder. "Los, du kommst mit." Er zielte wieder auf Reeve.

"Klar komm ich mit – sonst findest du Idiot hier ja nicht raus ! Und nun komm und sei gefälligst leise, auch wenn die Meisten Mittag machen, einige Cops sind noch hier !" Ohne weiter zu zögern oder auf die auf ihn gerichtete Waffe zu achten, schnappte sich Reeve die seines Kollegen, steckte sie in die Manteltasche und packte den Weißhaarigen am Arm, zog ihn den Gang hinab zur Treppe und weiter nach unten, bis sie in den Umkleiden der Cops ankamen. Erst, als er sich versichert hatte, daß Niemand hier war, zog er Mike zu einem der Spinde, warf ihm den Handschellenschlüssel mit einem harschen "Zieh dich aus, das Zeug ist viel zu auffällig." hin und tippte währenddessen die Kombination seines Spindes ein, um dann daraus eine Jeans, ein Sweatshirt und einen zweiten Mantel zu holen und ihm zuzuwerfen. "Beeil dich ! Wir müssen raus, bevor die Jungspunde vom Donat-Essen wiederkommen !"

Das Ganze war so seltsam, daß es keine Falle sein konnte. Mike fragte noch nicht nach, was das sollte, und öffnete die Handschellen, schlüpfte aus dem Overall und dann in die Klamotten. "Nachher erklärst du mir mal, was das soll." murmelte der Weißhaarige. Erst wurde er geschnappt und jetzt sorgte der Typ dafür, daß er fliehen konnte. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht. Jetzt aber folgte er Reeve weiter, es ging durch den Hinterausgang und weiter Richtung U-Bahn. Die Waffe hatte Mike inzwischen eingesteckt.

Ihm antwortete nur ein mürrisches "Ja, ja.", ehe Reeve wieder verstummte und unten in der U-Bahn das Kleingeld herausholte, das sie für die Fahrt brauchten und in den Automaten warf, damit sie Beide durchkonnten. Das, was er jetzt am Wenigsten brauchen konnte, war ein U-Bahn-Cop, der ihn und den Flüchtling wegen fehlender Tickets aufhielt und er entspannte sich erst, als sie in einer halbleeren U-Bahn saßen und endlich anfuhren. "Du willst wissen, warum ? Okay, Kleiner – die erste Info bekommst du hier, aber mehr ist nicht, dazu brauchen wir einen Platz, an dem wir sicher sind." Man sah dem Schwarzhaarigen an, wie wenig es ihm paßte, das alles zu tun – doch man sah auch, daß er mehr als nur entschlossen war, das durchzuziehen, während er aus der Manteltasche die Berichte des Laboranten kramte. "Vergiß diesen Roland Eckerson – die anderen beiden Berichte zählen."

Skeptisch nahm Mike die Berichte und las sie durch. Bei einer bestimmten Stelle las er zweimal, dann noch mal und dann: "Willst du mich verarschen ?" Mehr sagte er dazu gar nicht. In dem Bericht war ein Blutvergleich und ein Gentest. Die Gene stimmten soweit überein, daß er und Reeve den gleichen Vater hatten, und das war eindeutig. "Wenn das stimmt, hat dein Alter ne Hure gefickt, als du noch im Bauch deiner Alten warst." Zwischen ihm und Reeve lagen nur wenige Monate zwischen den Geburtstagen.

"Das weiß ich auch, Kleiner ! Und erwähne nie wieder diesen Arsch, wenn du nicht meine Faust in der Fresse haben willst. Wir reden, wenn wir an einem ruhigen Ort sind, klar ?" Man merkte Reeve mehr als nur deutlich an, wie sehr allein schon der Gedanke an seinen Vater ihn in Wut brachte – und auch, wie sehr er ihn hassen mußte. Dann schnappte er sich die Berichte wieder und steckte sie zurück in die Manteltasche, knurrte unbewußt leise vor sich hin und merkte erst wieder auf, als er hörte, wie der Bahnhof angesagt wurde. "Komm – wir steigen hier aus, der Bahnhof ist ideal."

Auch wenn Mike lieber weg wollte, er stieg zusammen mit Reeve aus und folgte ihm weiterhin. "Und wie soll das jetzt weitergehen ? Jetzt hab ich noch mehr Bullen am Hals ... scheiß Tag !" Normal war Mike eher ruhig, aber das Ganze wühlte ihn auf und vor allem fühlte er sich im Moment abhängig von Reeve.

"Und was soll ich dann sagen, du Idiot ?! Wegen dir setze ich meine Karriere aufs Spiel, verdammt ! Also sei ruhig und komm einfach mit, sonst ... ach verdammt, ich kann dich nicht mal abliefern !" Man sah dem Einäugigen an, wie sehr ihn dieser Gewissenskonflikt ankotzte – und so schlug er den schnellsten Weg zu den Güterzügen an, den er kannte, nickte, als er schließlich nach einer Weile Viehzüge sah und kletterte nach oben, um dann das Oberlicht aufzuschieben und in das Netz mit Heu zu hüpfen, das über den Tieren hing. "Jetzt komm schon ! Ist nicht das Hilton, aber dafür suchen die Cops hier nicht !"

Natürlich folgte Mike, er konnte ja schlecht in der Stadt herumlaufen. Jeder Cop der Stadt war hinter ihm her, weil er einen Cop als Geisel genommen hatte. Im Heunetz knurrte Mike leise, weil sie sich unerwartet nahe kamen, und er rückte so gut es ging, weg. "Okay, nu ist Ruhe ... also, warum machst du das ? Nicht, daß ich nicht froh drüber wäre, aber trotzdem. Nur, weil ich dein Halbbruder bin ?"

"Ja, verdammt ! Glaubst du vielleicht, mir paßt das ? Aber ich lasse nicht zu, daß ... verdammt." Im ersten Moment war Reeve noch wütend und brüllte seine Worte dem Weißhaarigen fast ins Gesicht – doch dann stockte er und schluckte, als er sah, daß sie die gleiche Augenfarbe hatten. Auch wenn es ihm nicht schmeckte, er schuldete Mike eine Erklärung und so lehnte er sich wieder zurück, schloß sein Auge und zog schließlich leise seufzend seinen Geldbeutel heraus, um daraus ein sehr altes und sichtlich abgewetztes Foto zu holen und es dem Weißhaarigen zu geben. "Das Foto wurde an meinem zwölften Geburtstag gemacht ... ein Monat, bevor unser Vater völlig austickte. Er war schon immer ein Arschloch und schlug sowohl meine Mutter wie auch mich, aber an diesem Abend war er so sturzbesoffen, daß er durchdrehte. Er beschuldigte meine Mom, daß sie fremdgegangen sei und nicht von ihm schwanger – ein völliger Blödsinn, Mom hatte dafür viel zuviel Angst und der Kleine war von ihm. Aber er wollte nicht hören und packte eine Grillgabel von der Seite, stach ihr in den Bauch und ins Herz und als ich dazwischengehen wollte, zog er mir das Teil durchs Gesicht. Ich weiß nur noch, daß ich vor Schmerz halb wahnsinnig wurde – und daß ich irgendwie das Gemüsemesser in die Hand bekommen habe und ihn tötete. Als ich zu mir kam, hielt ich meine Mom in den Armen und sah zu, wie sie starb ... und auch mein Bruder starb in meinem Händen, er überlebte nur kurz, da er zu schwer verletzt war, als er durch meinen Vater aus ihrem Bauch gerissen wurde. Ich kam danach ins Waisenhaus und schwor mir, daß so etwas nie wieder passieren dürfte – und ich schwor mir auch, daß ich ein Cop werde, damit ich sowas verhindern kann. Auch wenn es dumm ist und mich meinen Job kostete ... ich konnte nicht zulassen, daß dir etwas passiert. Punkt."

Okay, das war doch ein ziemlicher Brocken, den Mike verdauen musste. Reeve half ihm nur, weil sie verwandt waren, Halbbrüder, und das tat er, weil er seinen kleinen Bruder verloren hatte. "Ehrlich, ich hätte deinen Alten auch gekillt ... ähm, unseren meine ich." Jetzt wusste er, wer sein Vater war, das war schon irgendwie schräg. "Meine Mom war ne Nutte. Als ich zwölf war, wurde sie von einem Freier umgebracht, seither bin ich auf der Straße. Ich kenne es nicht, wenn man sich um mich sorgt." Als Baby und Kleinkind hatte ihn seine Mom entweder in den Schrank gesteckt oder zu der Nachbarin gegeben.

"Mir schon klar, Kleiner – normalerweise sind mir andere Menschen auch völlig egal, außer, ich muß sie verhaften. Aber bei dir ist das anders ... es ist egal, ob deine Mom ne Nutte war oder nicht – mein Alter hätte für dich zahlen sollen, verdammt ! Ich weiß zwar nicht, was ich jetzt machen soll, aber dir verschaffe ich ne neue Identität, damit du nicht mehr eingebuchtet wirst. Und dazu stopfe ich dich in eine neue Stadt, dann hast du Ruhe, du darfst nur eben nicht mehr nach Philadelphia zurückkommen. Deine Sachen lasse ich vom Wiesel holen, wenn du mir deine Adresse gibst – dann können wir sie uns nachschicken lassen." Diese Situation war noch immer sehr bizarr und auch ungewohnt ... gerade für Reeve, der seit fast zwanzig Jahren keine Emotionen außer Wut und Zorn mehr zugelassen hatte.

"Wiesel ? Du meinst die kleine Ratte, die sich hinter den Mülltonnen verkrochen hatte ? Den würde ich gern in die Finger bekommen. Und Papiere ? Du bist total bekloppt, das kostet ein Vermögen. Aber wenn du meinst, nur zu, dann muss ich das nicht machen." Das hatte ihn doch sehr erstaunt, aber er nahm an, dann musste er sich nicht selber darum kümmern. "Aber denk nicht, daß ich mit dem aufhöre, was ich tue ... ich hab den Kerl nicht einfach aus Glück so fertigmachen können." War schon irre. Ein Bruder war ein Cop, der Andere eine Art Killer, ein Mann, der Drecksarbeit für Andere machte.

Das ließ Reeve kurz aufschnauben, ehe er sich vorneigte, das Bild aus den Fingern des Weißhaarigen pflückte und wieder in seine Brieftasche steckte. "Das war mir in dem Moment klar, als ich dich gesehen habe. Allein schon deine Kaltblütigkeit – und wie du ihn fertiggemacht hast. Du bist ein Profischläger, oder ? Und weißt du was - wenn ich ihn erwischt hätte, ich denke, ich hätte ihn ebenfalls gekillt. Nur das Kinn hätte ich ihm nicht zertrümmert, ich hätte ihm schön in den Hals geschossen und ihm dann den Schwanz in das Loch reingesteckt. Ich schreib dir nicht vor, was du tun sollst, Kleiner – du kannst machen, was du willst. Ich denke, ich werde mir nen schön ruhigen Job als Kopfgeldjäger holen, da hab ich wenigstens keinen Ärger mit Vorgesetzten, die dauernd irgendwelche Berichte fordern oder mir an den Kragen wollen, weil ich die Ärsche zu hart anfasse. Pah !"

"Solang du mich nicht jagst, kein Problem." murmelte Mike und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er war ziemlich fertig und bemerkte nur nebenher, dass der Zug anfuhr. "Und ich bin kein Schläger, ich mach das etwas feiner. Zumindest hin und wieder."

"Ich wär doch völlig hirnverbrannt, wenn ich dir zur Flucht verhelfe, dir neue Papiere besorge und dich dann wieder abliefere. Und mir ist schon klar, daß du besser wie die Idioten bist, die normalerweise säumige Kunden an ihre Raten erinnern – dafür arbeitest du zu gut. Aber ein hochrangiger Profikiller bist du auch nicht, sonst hätte ich schon etwas über dich erfahren und glaub mir, ich kenne sie alle." Auch Reeve war müde – all das hatte sehr an ihm gezehrt und davon abgesehen hatte er auch seit gestern Abend nichts mehr gegessen, eine Tatsache, die sich nun durch ein Magenknurren bemerkbar machte.

Mike ging es da nicht anders, aber er ignorierte das Knurren und schloss seine Augen. Später wollte er mal die anderen Waggons nach etwas Essbarem abklappern, sie mussten schließlich einmal quer durch das ganze Land. Aber erstmal war Schlafen angesagt.

Nach einem kurzen Blick auf den etwas Jüngeren drehte Reeve sich auf den Rücken und schloß sein Auge, verschränkte die Arme auf der Brust und gönnte sich ebenfalls einen leichten Schlaf, um sich etwas zu erholen. Dieser Tag war bisher schon anstrengend genug gewesen – und im Moment konnten sie so oder so nirgends hin und das Heu war weich genug, um einigermaßen darauf schlafen zu können.

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